Eine Brücke in Berlin

Eine Berliner Brücke inmitten einer idyllischen Parklandschaft: Was an den Ufern der Havel, unter dem weiten Himmel Brandenburgs und Berlins, so harmlos wirkt, birgt tatsächlich dramatische Geschichte und erinnert dabei an einen der »big player« der DDR.

Wolfgang Vogel (1925–2008), Absolvent des Studiums der Rechtswissenschaften an den Universitäten Jena und Leipzig, war Rechtsanwalt in Ostberlin und hatte eine Zulassung in Westberlin. Damit war er Mitglied jenes exklusiven Zirkels klassisch ausgebildeter Juristen, die im Osten hohes Ansehen genossen und im Westen praktizieren durften. Den meisten anderen Juristen der DDR war so viel Freiheit verwehrt, da in Ostdeutschland nach 1945 die Juristenausbildung immer wieder reformiert und stark diversifiziert wurde, sodass DDR-Juristen im Westen keine Mandanten vertreten durften. Vogels Werdegang war nicht ohne Stolpersteine, geriet er doch nach dem Arbeiteraufstand vom Juni 1953 in den Fokus der Stasi, nachdem sein Chef Rudolf Reinartz in den Westen geflohen war. Vogel, jung verheiratet und Vater von zwei kleinen Kindern, gelang der Spagat zwischen Loyalität gegenüber seinem alten Mentor und der Anpassung an das Regime. 

Die Beziehungen zwischen DDR und BRD waren von Beginn an bekanntermaßen kompliziert. Man lebte in direkter Nachbarschaft, teilte eine fast hermetisch dichte Grenze – und wollte doch so viel wie möglich voneinander wissen. Dieses Interesse galt auch für die Justiz der beiden deutschen Staaten, und kaum jemand zog aus der klandestinen Vermittlung von Informationen solchen Nutzen wie Wolfgang Vogel. Denn er durfte nicht nur im Westen praktizieren, er übernahm auch Mandanten aus dem Westen, die im Osten eine Rechtsvertretung benötigten, da es westlichen Juristen unmöglich war, für Beschuldigte im Osten etwas zu tun. Ergaben sich derartige Spezialfälle, brauchte man – ungeachtet aller politischen Divergenzen – einen verlässlichen ostdeutschen Partner, dem man einen westdeutschen Mandanten anvertrauen konnte. 

Doch die Doppelzulassung war nur der Beginn einer beispiellosen Karriere. Im Winter 1961/62 gelang es Vogel, den ersten Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke zwischen Potsdam und Berlin zu organisieren. Der enttarnte KGB-Oberst Rudolf Abel wurde gegen den US-Spionagepiloten Francis Gary Powers ausgetauscht, womit sich Vogel als erstklassiger, erfolgreicher Unterhändler etabliert hatte. 1963 setzte der großangelegte, kontinuierliche Austausch politischer Häftlinge gegen Waren, aber auch der Austausch von Agenten beider Seiten ein. Über Vogels Schreibtisch gingen die Freilassungen von 150 Mitgliedern von Nachrichtendiensten aus 23 Ländern – darunter der berühmte Stasi-Offizier Günter Guillaume, der als persönlicher Referent für Willy Brandt gearbeitet hatte, bevor er enttarnt wurde –, danach kam der Häftlingsfreikauf, als die DDR für den Preis von Devisen und Warenlieferungen aus dem Westen auf einen Teil des Haftanspruchs bei einzelnen politischen Häftlingen verzichtete.

Zwischen 1964 und 1989 wurden insgesamt 33.755 politische Gefangene für über 3,4 Milliarden DM freigekauft. Auch hier spielte Wolfgang Vogel eine wesentliche Rolle, mit der er zudem ausgesprochen gut verdiente. »Karl Marx«, sagte Vogel, Besitzer eines West-Berliner Kontos und eines Jahr um Jahr nagelneuen Mercedes in der Farbe Champagner-Metallic, einmal, »hat nicht gesagt, dass man als Sozialist arm sein muss«. 1989, nach der Wende übernahm Vogel die Verteidigung Erich Honeckers, legte das Mandat jedoch nieder, als er mit Vorwürfen konfrontiert wurde, er sei Stasi-Informant gewesen, was bald auch verifiziert wurde. Freigesprochen jedoch hatte ihn der Bundesgerichtshof von der Anklage, ausreisewillige DDR-Bürger erpresst zu haben. Vogels Reputation ermisst sich ein letztes Mal daran, dass damals Helmut Schmidt und Hans Dietrich Genscher für ihn sprachen. Auf die zahlreichen Vorwürfe, er hätte Menschenhandel betrieben und sich daran enorm bereichert, meinte Vogel: »Meine Wege waren nicht weiß und nicht schwarz. Sie mussten grau sein.« 

In Steven Spielbergs Bridge of Spies (2015) ist jener erste Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke, bei dem Wolfgang Vogel eine wesentliche Rolle spielte, eine zentrale Szene. Für den Film, in dem Sebastian Koch den DDR-Anwalt darstellte und Tom Hanks seinen US-amerikanischen Konterpart, den Anwalt James B. Donovan, spielte (und der wunderbare Mark Rylance den Sowjetspion Rudolf Abel), präparierten die Mitarbeiter des Studio Babelsberg die Glienicker Brücke über die Havel so, dass man sich unweigerlich in die Ära der DDR zurückversetzt fühlen musste. DDR-Fahnen flatterten an eigens aufgestellten Masten, das Wappen Ostdeutschlands wurde am Gestänge der Brücke angebracht, Straßenlaternen in der typischen Zylinderform komplettierten das authentische Bild. Fünf Tage lang wurde die Brücke im Oktober 2014 gesperrt, um sie für die eine Szene, in der ein klirrend kalter Wintermorgen im Februar 1962 authentisch nachgestellt wurde, herzurichten. 

Wer die Glienicker Brücke heute überquert, denkt wohl kaum an ihre Bedeutung in der Zeit des Kalten Kriegs, an ihre Vergangenheit als Topos der Weltpolitik, die verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit verhandelt wurde und doch das Schicksal vieler Menschen oft ganz unmittelbar beeinflusste. 

In der Geschichte dieser Brücke war aber auch diese Epoche lediglich eine Episode. Immerhin war sie bereits die vierte Brücke, die die Havel an dieser Stelle überspannte. Die erste entstand bereits im 17. Jahrhundert und war dem Adel vorbehalten, für den die Brücke eine Verbindung von ihren Potsdamer Schlössern zu den Jagdgründen auf der anderen Seite der Havel bildete. 

Als der Verkehr auf dem Fluss zunahm, errichtete man Ende des 18. Jahrhunderts eine Zugbrücke, die nun auch für die Allgemeinheit zugänglich war. Nach Entwürfen Karl Friedrich Schinkels folgte 1831 schließlich eine Steinbrücke, deren Öffnungen groß genug für den Schiffsverkehr waren. »Köstlich und wohlgeraten« soll sie gewesen sein, und als 1835 das Dampfschiff Henriette mit seiner exotischen Fracht – ein Löwe, Ameisenbären und Affen für den königlichen Tiergarten auf der Pfaueninsel – darunter durchfuhr, trug die elegante Brücke das Drängen und Rufen und Winken der begeisterten Berliner und Potsdamer mit stoischer Ruhe. 

1907 musste auch dieser dritte Brückenbau modernen verkehrstechnischen Bedürfnissen weichen. Es entstand eine Stahlkonstruktion, mit der die Architekturkritiker weit weniger einverstanden waren als mit Schinkels Arbeit. Doch immerhin: auf der Potsdamer Seite bekam die Brücke nun Kolonnaden (sie erinnerten daran, dass sich die Brücke immerhin an der Königsstraße – der Berlin-Potsdamer Chaussee – befand, also an der direkten Verbindung von Potsdam zum Berliner Schloss) und darüber hinaus ein paar behäbige Kentauren an den Kopfenden der Brücke. Ungeachtet aller bissigen architekturkritischen Kommentare war die Brücke ein stark frequentiertes Ausflugsziel, da sich an ihrem Fuß die Anlegestellen der Dampfschifffahrtsgesellschaften befanden, die diese herrlich luftigen Rundfahrten anboten. 

Arg zugesetzt hat er Brücke der Zweite Weltkrieg, als sich hier in den letzten Apriltagen 1945 die Rote Armee und die Wehrmacht heftige Kämpfe lieferten. Man hatte die Brückenpfeiler sogar mit Sprengladungen bestückt, von denen aber zum Glück nur zwei detonierten. Unbrauchbar hat das die Glienicker Brücker trotzdem gemacht. 1947 begann der Wiederaufbau der Glienicker Brücke, 1949 wurde sie wiedereröffnet – nun mit einem weißen Strich genau in der Mitte der Brücke, der die Grenze zwischen DDR und BRD markierte.

Aufmerksamen Flaneuren entgeht nicht, dass die Stahlkonstruktion auf einer Seite um eine Nuance heller ist als auf der anderen: der Berlin zugewandte Teil ist in einem etwas dunkleren Grün gestrichen als die Potsdamer Hälfte, was man auch nach der Wende beibehalten hat. An der Brückenmitte wurde ein Metallband verlegt, das an den deutsch-deutschen Grenzverlauf erinnert, und auf zwei Informationstafeln lässt sich das Wichtigste zur Geschichte der Brücke nachlesen. Auf beiden Seiten der Glienicker Brücke liegen prächtige Landschaftsparks, Schlösser und Villen und sogar die alte Gerichtslaube, die aus dem Nicolaiviertel hierher transferiert wurde. Eine Idylle, von der UNESCO zum Weltkulturerbe erkoren und auch für Gäste Berlins eine schöne Möglichkeit, dem Getriebe der Großstadt für ein paar Stunden den Rücken zu kehren.

Allen, die mehr über Berlin und eine Reihe von Menschen wissen möchte, die die Stadt in vielerlei Hinsicht prägten, sei mein Reiseführer Ku’damm, Kiez & Currywurst (erschienen im November 2020 bei Manz · C.H.Beck · Stämpfli) empfohlen. 

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