Im Kaffeehaus. Ein Kaleidoskop möglicher Genüsse
Mein guter Freund Martin Czapka hat ein Buch übers Kaffeehaus geschrieben. Nein, das ist nicht ganz präzise: er hat ein Buch entwickelt, gezeichnet und geschrieben, das sich von A bis Z dem Wiener Kaffeehaus widmet. Ich freue mich umso mehr, denn ich habe ein Vorwort beigesteuert, das hier auszugsweise zu lesen ist.
Das Kaffeehaus ist eine wunderbare Erfindung. Mit seinen rund vierhundert Jahren ist es die vielleicht erfolgreichste und langlebigste gastronomische Idee, bei der es um nichts als um den Genuss geht. Essen muss der Mensch, schlafen ebenfalls, weshalb Gasthäuser, Restaurants und Hotels sozusagen eine Art praktikable Expansion des Alltags sind (auch wenn die qualitative Graduierung über den Alltag weit hinausgehen mag). Beim Kaffeehaus liegt die Sache anders. Das zeigt sich schon an dem, worauf Idee und Begriff fokussieren: Kaffee, der kein Nahrungsmittel ist, sondern ein Genussmittel, eine Art Zaubertrank sogar, dem man längst eine ganze Reihe wohltuender, ja tatsächlich heilender Effekte auf die menschliche Physiologie attestiert.
Das Ambiente, in dem dieses schwarze duftende Geschenk der Götter genossen wird, sollte deshalb auch immer eines sein, das Behaglichkeit vermittelt, in dem es gut riecht und warm ist, in dem man die Imponderabilien des Alltags für Minuten aus der Gegenwart verbannen kann. Die Gelegenheit zum Eskapismus wenigstens für die Zeit, die es braucht, einen Fingerhut voll Kaffee zu trinken. (…) Die viel zitierte menschliche »Botanisiertrommel«, wo sich Intellektuelle, Literaten und Maler, Schauspieler und all deren Kritiker treffen, ist zugegebenermaßen eine schöne nostalgische Reminiszenz. Für das europäische Geistesleben der Gegenwart hat es vielleicht noch punktuell Relevanz, jedoch längst nicht mehr in dem Maß, wie man es aus der Kulturgeschichte kennt. Der magische Ort urbaner Kultur, an dem Ideen geboren wurden, wo Literatur entstand, wo die Jungen hingingen, um die Arrivierten zu provozieren aus dem guten Grund, sie auf sich aufmerksam zu machen um letztlich selbst in den erlauchten Parnass aufzusteigen, ist in mancherlei Hinsicht Vergangenheit. (…)
An Anziehungskraft hat das Faszinosum über die Jahre dennoch kaum etwas verloren. Denn das Kaffeehaus ist mehr als die Summe seiner Mythen, Legenden und, nicht zu vergessen, vitalen Funktionen. Es stellt sich also die Frage, ob irgendjemand dem Substrat, der Seele, dem, was das Kaffeehaus im Gesamten ausmacht, mit Worten allein überhaupt gerecht werden kann? Kaum, denn ein fast grenzenloses Universum, und um ein solches handelt es sich beim Kaffeehaus, entzieht sich schnöder Syntax – und sei sie noch so wortgewaltig. Das Phänomen Kaffeehaus insgesamt zu erfassen und zu beschreiben gelingt nur dem virtuosen Jongleur, der Geschmäcker, Stimmungen und Fakten, Geschichte und Geschichten in Bilder und Worte zu gießen vermag und diese Bällen gleich alle in der Luft halten kann. Martin Czapka hat gesammelt und studiert, gelesen und recherchiert und dann hat er geschrieben und vor allem hat er mit feiner Feder gezeichnet. Als Resultat ist ihm mit diesem Unterfangen etwas gelungen, was sonst vielleicht nur noch mit Musik möglich ist: Der Summe aus Einzelteilen das Surplus zu schenken, ihr den inneren Zusammenhalt zu verleihen – oder besser noch: der Sache ihre Seele zu geben.
Und wir Leser, wir können uns staunend auf eine weite Reise begeben, und den Kosmos Kaffeehaus erkunden – die kulinarischen Facetten vom Apfelstrudel bis zum Zwiebelrostbraten (nebst dem einen oder anderen Rezept), die architektonischen Feinheiten vom Cafè Frauenhuber über den Tirolerhof und das Altwien bis zum Cafè Brückl, die psychologischen Unwägbarkeiten jener, die den Kaffee (und alles, was dazugehört im Kaffeehaus) zum Tisch des Gastes bringen und jener, die den Kaffee (und alles … siehe oben) trinken, die sprachlichen Subtilitäten der einschlägigen Kaffeehausterminologie und die Raffinessen des Wiener Idioms, ohne das man im Kaffeehaus nicht weit kommen wird. Dazu gesellen sich all jene Menschen, die über die Jahrhunderte und Jahrzehnte mit dem Wiener Kaffeehaus gleichermaßen unauflösbar verbunden sind wie die richtige Röstung mit dem Kaffeegeschmack. Sie kommen in Zitaten zu Wort und in ziseliert feinen Zeichnungen zur Geltung.
Gäbe es das Hawelka nicht, hat Hans Weigel geschrieben, müsste man es erfinden. Dasselbe gilt für dieses Kompendium über das Wiener Kaffeehaus. Es verdient den Lorbeer schon allein dafür, dass man das Kaffeehaus zwischen zwei Buchdeckeln überallhin mitnehmen kann. Was hätten Polgar oder Altenberg dafür gegeben!
Wiener Cafés. Ein lexikalisches Sammelsurium rund ums Kaffeehaus von Martin Czapka
320 Seiten mit zahlreichen Abbildungen; erschien im September 2023; Amalthea Verlag